In-visible Realness: 50 Jahre nach Stonewall, Exhibition @ PS120 Berlin 2019

Alex Heide Floor Piece (PS120)- In the Hands of your Authority, 2019

In-visible Realness: Berlin 50 Jahre nach Stonewall,
PS120, Potsdamer Straße 120, 10785 Berlin

Das Queere Kulturhaus E2H in Zusammenarbeit mit PS120.

20. Juni–19. Juli 2019

Kuratiert von: Ben Livne Weitzman und Justin Polera

Assistentin: Simone Meier

Künstler*Innen: Alex Heide, Ariel Reichman, Carlos Motta, Christo Daskaltsis, Danh Vō, Doireann O’Malley, Ileana Pascalau, Jean Ulrick Désert, Jessica Rankin, Jörg Schulze-Roloff, Julian-Jakob Kneer, Matthias Hamann, Mi Kafchin, Ming Wong, Nan Goldin, Nathan Storey Freeman, Nicholas Grafia, Noah Rieser, Nooshin Askari, Philipp Timischl, Renate Hampke, Samantha Bohatsch, Shaun Motsi, Stef. Engel, Stef Morgner, Thomas Masc, Tommy Camerno, Yein Lee, Zoe Leonard

 

»Wir sind nun einmal anders als die andern,
die nur im Gleichschritt der Moral geliebt,
neugierig erst durch tausend Wunder wandern,
und für die’s doch nur das Banale gibt.
Wir aber wissen nicht, wie das Gefühl ist,
denn wir sind alle andrer Welten Kind;
wir lieben nur die lila Nacht, die schwül ist,
weil wir ja anders als die andern sind.«

Im Juli 1919 öffnete das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin zum ersten Mal seine Pforten für die Öffentlichkeit. Gegründet von Magnus Hirschfeld, war das Institut das Erste seiner Art und bot psychologische und physische Unterstützung für alle, die sich in ihrem Geschlecht und ihrer Sexualität von der Gesellschaft missverstanden fühlten.

In den 14 Jahren seines Bestehens, fungierte das Institut als Begegnungszentrum, Arbeitsort und Zuhause für Mitglieder der LGBTIQ-Community Berlins und ausserhalb. Als Ort der Forschung, des Bildungswesens und politischer Aktivitäten wurden in der Klinik ebenfalls erste Versuche von geschlechtsangleichenden Operationen vorgenommen. Obschon 1933 das Nazi-Regime an die Macht kam und das Institut geplündert und zwangsgeschlossen wurde, schlägt sein sozialer, medizinischer und politischer Einfluss bis heute Wellen. Auch diese Einflüsse führten vor 50 Jahren eine versammelte Menge am Stonewall Inn dazu sich gegen die polizeiliche Brutalität zu wehren, welche in diesem Moment für die Demonstranten alle Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen symbolisierte.

Der Bindestrich im Titel »In-visible Realness« markiert die Spannung zwischen dem Erkenntlichen, dem, was unserem Auge verborgen bleibt und dem, was langsam ans Licht kommt. Als Teil des Bestrebens der queeren Gemeinschaft nach Anerkennung zeigt sich Sichtbarkeit (i.e. visibility) zeitweise als problematisch aufgeladen und spiegel sich in seiner Diskrepanz in den verschiedenen Herangehensweise der ausgestellten Künstler wider.

Indem der Begriff der »Realness« oder »Wahrhaftigkeit« thematisiert wird, wird auf das Bedürfnis verwiesen, nach heteronormativen Standards akzeptiert zu werden, was – wie die Geschichte zeigt – zuweilen überlebenswichtig sein kann. Gleichzeitig verweist er auf den performativen Charakter von Gender im Allgemeinen (und stellt damit implizit die heteronormativ-binäre Sichtweise auf Geschichte in Frage). Somit konstruiert der Begriff der »Realness« weniger eine Imitation des Binären, sondern ist als ein Werkzeug zu verstehen, welches durch die Dekontextualisierung von bekannten Genderrollen eine neue Realität zu erschaffen zu vermag. Die Darstellung des Anderen trägt dabei zur Bildung eines individuellen Selbst bei.

Während Künstler verschiedenster Medien, Zeiten und Herangehensweisen ausgestellt werden, wird nicht versucht, künstlerische Gesten oder Bewegungen zu untersuchen, zusammenzufassen oder hervorzuheben, sondern viel eher den Begriff »queer« als ein adaptierbares Verb anzusehen, anstatt ihm den limitierenden Charakter eines Nomens zu zu schreiben. Dies evoziert eine Vielfältigkeit, ein Spektrum, dessen Schnittstellen sich aus Ähnlichkeiten zusammensetzen und in denen mögliche Unterschiede vielmehr auf zugrundeliegende Verbindungen verweisen, als dass sie eine Trennung voraussetzen.

»Ein queerer Raum ist ein Gebiet, dass durch den Wanderer, den Flaneur freigeschaltet wird; es ist somit gleichzeitig öffentlich und privat.«3 Mit diesem Zitat von Jean-Ulrick Désert laden wir Sie und Euch ein, durch das Unterholz dieser öffentlichen/privaten Variationen zu wandern, wobei der beigelegten Fragebogen, der Hirschfelds Patienten bei ihrer Ankunft im Institut präsentiert wurde, Ihnen als Begleiter dienen soll (zum Beispiel: Können Sie pfeifen?). Als einer, der keinen vorgeschriebenen Weg vorgibt, sondern viel mehr zu den Seitenrändern der Karte der Persönlichkeit führt und anhand der Vergangenheit eine Bandbreite des Selbst ausserhalb einer Zeitlichkeit aufzeigen soll.

Ausstellungsfotos von Stefan Korte

Jean-Ulrick Désert WE ARE EVERYWHERE:: the secret garden, 2019

Carlos Motta Corpo Fechado—The Devil’s Work, 2018_1

Ariel Reichman Last (last) light, 2019 10 Light Bulbs, 15W, Black_1

Installation View 19Ileana Pascalau Private Wet Playground, 2019 : Thomas Masc, Gehts Mir Mal Dreckig, Dann Schleck Ich, 2019 : Stef Engel, Claude Cahun, , 2001- : Ming Wong Lehre Deutsch mit Petra von Kant, 2017Installation View 16Installation View - Queeres Kulturhaus Archiv 3 + Doireann O’Malley Anders als die Andern, 2009Renate Hampke Pneuma-tacs Nr. 2, 2016: Untitled 1, 2016: Untitled 2, 2016 : Tommy Camerno Andromeda Drape Crew Neck, 2019 : Samantha Bohatsch She Said, 2018 : Zoe Leonard I Want A President, 1992 : Yein Lee Being-lichens, 2019Ariel Reichman Last (last) light, 2019 : Rosa Von Praunheim Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt, 1971 : Thomas Masc Analysis Feelisimo 6, 2018Installation View 13Nan Goldin My Roomate on Beacon Hill, Boston, 1973 : Nan Goldin Cody in the Dressing Room at the Boy Bar, NYC,1991Installation View 8Installation View 7Installation View 6Matthias Hamann Toilet Installation 2Matthias Hamann Toilet Installation 1Matthias Hamann Photography Slidshow 2Installation View 4Installation View 2Installation View 1